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Positionspapier des Netzwerk es der Beschäftigungsträger im Norden Arbeitsgelegenheiten
Arbeitsgelegenheiten sind Qualifizierung durch Beschäftigung
Arbeitsgelegenheiten (nach §16d SGB II) und Teilhabe am Arbeitsmarkt (nach §16i SGB II) sind wichtige arbeitsmarktpolitische Instrumente zur Förderung von Langzeitarbeitslosen, die in der aktuellen sozialpolitischen Diskussion oft das Nachsehen haben. Mit der Einführung des neuen Bürgergeldgesetzes werden Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen als zentrale Strategie angesehen. Im Verteilungskampf um die begrenzten und geringer werdenden Eingliederungsmittel verlieren Instrumente der öffentlich geförderten Beschäftigung ihre Bedeutung. An manchen Standorten, wie in Mecklenburg-Vorpommern, gibt es kaum noch bewilligte Plätze. Dieses hat katastrophale Folgen für die Zielgruppe, die Förderstruktur und die soziale Infrastruktur vor Ort. Das Primat der Fort- und Weiterbildung scheint auf den ersten Blick gut und richtig zu sein, dabei wird aber vergessen, dass ein Großteil der Menschen mit verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit vielfältige Schulungsmaßnahmen hinter sich haben und damit nicht erreicht werden konnten. Ein mehr vom Gleichen wird nicht zum Erfolg führen!
Die aktuelle Situation
Seit Jahren partizipieren langzeitarbeitslose Menschen nicht an der steigenden Nachfrage an Arbeitskräften und ihr Anteil ist nach wie vor hoch: So waren im Jahr 2020: 816.748 Menschen in Deutschland langzeitarbeitslos, in 2022: 916.364. Die Zahl der nicht langzeitarbeitslosen Menschen ist in dieser Zeit von 1.878.696 auf 1.501.769 gesunken1. Auch wenn zunächst der Großteil der Langzeitarbeitslosen vorwiegend über Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung oder Eingliederungszuschüsse erfolgreich gefördert werden kann, verbleiben die meisten von ihnen trotzdem noch in der Langzeitarbeitslosigkeit. Aktuell sind 59,2% der Langzeitarbeitslosen länger als 2 Jahre arbeitslos2. Schulungs – und Aktivierungsmaßnahmen haben offenbar nicht zum Erfolg geführt.
Schaut man sich diese Zielgruppe genauer an, so erkennt man schnell warum sie seit Jahren mit den herkömmlichen Bildungsangeboten, insbesondere dem üblichen methodischen und didaktischen Ansatz, nicht erreicht werden konnten: Diese Menschen verfügen meist über keinen bzw. lediglich einen schlechten Schulabschluss. Sie können zumeist auch keinen Berufsabschluss nachweisen oder haben seit Jahren kein reguläres Anstellungsverhältnis gehabt. In der Folge haben sie sich von den Anforderungen des Arbeitsmarktes immer weiter entfernt und können diesem ohne weiteres auch nicht mehr gerecht werden. Neben fehlenden aktuellen fachlichen Kompetenzen fehlen häufig arbeitsmarktrelevante Grundkompetenzen wie Durchhaltevermögen, Belastbarkeit, Leistungsfähigkeit, soziale Kontakte und eine Zeit-/Tagesstruktur, die zu den Erfordernissen in der Arbeitswelt passt.
Die Ursachen hierfür liegen nicht bzw. nicht ausschließlich in der jeweiligen Person sondern sind Auswirkungen ihrer langjährigen Arbeitslosigkeit und fehlenden Möglichkeiten, ihre Fähigkeiten zu nutzen, zu trainieren und auszubauen sowie neue Fertigkeiten zu erlangen und Sozialkompetenzen zu stärken. Nach jahrelanger Misserfolgs- und teils Krankheitsgeschichte ist die Hoffnung an einen individuellen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zerstört.
Für diese Zielgruppe sind beschäftigungsschaffende Maßnahmen, zunächst Arbeitsgelegenheiten (§16d SGBII) und nach mind. 6 Jahren Arbeitslosigkeit Teilhabe am Arbeitsmarkt (§16i SGB II) sinnvolle Instrumente, um die Beschäftigungs- und Beschulungsfähigkeit zu stärken.
Dabei gibt es regional viel zu wenige Angebote für langzeitarbeitslose Menschen, um Praxiserfahrung gewinnen zu können und sie werden aufgrund fehlender finanzieller Spielräume in den Jobcentern immer weniger.
Beschäftigungsschaffende Maßnahmen qualifizieren ganzheitlich und individuell:
Die Zielgruppe von beschäftigungsschaffenden Maßnahmen ist nicht homogen. Jeder bringt seine eigenen Erfahrungen und Päckchen mit. Wir wissen aus langjähriger Arbeit mit der Zielgruppe, dass viele und vor allem kleine Schritte mit bedarfsorientierten inhaltlichen und zeitlichen Rahmenbedingungen notwendig sind, um Beschulungs-/Beschäftigungsfähigkeit bei langzeitarbeitslosen Menschen zu entwickeln und zu erreichen.
Arbeitsgelegenheiten verfolgen genau diesen Ansatz. Sie sind sozial integrative Maßnahmen und bieten umfängliche Unterstützung. Sie sind für einen großen Teil der Menschen ein erster Einstieg in weiterführende Angebote. Sie bieten zusätzlich zur sozialen Teilhabe und sozialen Stabilisierung ideale Voraussetzungen um Grundkompetenzen wie Lernen lernen, Lesen, Merken, Sprechen und Verstehen, Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeiten, Motivation und Antrieb zu erlernen und zu trainieren, um überhaupt an Qualifizierungen erfolgreich teilnehmen zu können.
Arbeitsgelegenheiten qualifizieren im Rahmen praxisorientierter Bildung Grundkompetenzen, die die Grundlage für darauf aufbauende Fort- und Weiterbildungen im Sinne einer Beschulungsfähigkeit bilden.
Arbeitsgelegenheiten bieten in ihren vielfältigen Tätigkeitsfeldern, in den Bereichen Handwerk, Einzelhandel, Hauswirtschaft, Büro, Garten- und Landschaftsbau, in der Logistik, in der Dienstleistung am und für den Menschen, u.v.m. ein breites Betätigungs- und Fortbildungsfeld für diese Zielgruppen. Im Rahmen eines als sinnhaft empfundenen und arbeitsmarktnahen Arbeitsalltages können die Langzeitarbeitslosen fachliche Kompetenzen erwerben und vertiefen. Die Qualifizierung durch fachliche Anleiter*innen richtet sich an jeweiligen Fähigkeiten und Kompetenzen des Einzelnen aus. Niedrigschwellige und praxisorientierte Schulungseinheiten, die nicht in Klassenräumen, zu festgelegten Zeiten und über einen viel zu langen Zeitraum angelegt sind, ermöglichen auch bildungsungewohnten Menschen die fachliche Weiterbildung.
In Arbeitsgelegenheiten erhalten Langzeitarbeitslose zertifizierbare Fachkenntnisse, die nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch über eine längere Zeit eingeübt und trainiert wurden.
Unternehmen, die diese Menschen einstellen, schauen nicht vorrangig auf Abschlüsse sondern auf praktische Erfahrungen, soziale Kompetenzen und Arbeitszeugnisse. Nur wenige Langzeitarbeitslose können zu einer Fachkraft qualifiziert werden, aber Jeder/Jede wird soweit gefördert werden können, damit er/sie einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten kann. Beschäftigung schaffende Maßnahmen sind ein wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung dieser Fähigkeiten.
Arbeitsgelegenheiten und andere beschäftigungsschaffenden Maßnahmen dürfen nicht im Rahmen einer Qualifizierungsoffensive verdrängt werden, sondern sie sind als das wichtigste Instrument für eine konkrete Zielgruppe anzuerkennen. Sie bieten eine adäquate Förderung für langzeitarbeitslose Menschen, die bisher noch nicht mit anderen Instrumenten erfolgreich vermittelt werden konnten.
Deshalb fordern wir:
- Arbeitsgelegenheiten bei der Bildungsoffensive als niedrigschwelliges und praxisorientiertes Angebot zur Vermittlung von Sozial- und Fachkompetenzen mitzudenken und einzubeziehen!
- Arbeitsgelegenheiten als wichtigen qualifizierenden Baustein in der Förderstrategie anzuerkennen!
- Arbeitsgelegenheiten durch ergänzende Angebote aufzuwerten und in ihrer Besonderheit wertzuschätzen. Arbeitsgelegenheiten müssen ein wichtiger fester Bestandteil bei der erfolgreichen Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit bleiben.
- Mindestens 40% des Eingliederungstitels aus dem SGB II vorrangig für beschäftigungsschaffende Maßnahmen zu reservieren und zu investieren!3
„Wenn es die Arbeitsgelegenheiten nicht schon gäbe, müsste man sie erfinden.“