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Drei Fragen und Antworten mit Bernd Schröder, Geschäftsführer LAG Arbeit
Das Jobcenter team.arbeit.hamburg hat zu Februar 680 Plätze bei den Arbeitsgelegenheiten (AGH) gekürzt. Das ist fast die Hälfte aller Plätze. Nun soll der Bestand gesichert werden, indem der Förderzeitraum für bestehende Angebote von 12 auf 24 Monate verlängert wird. „Was hier als Erfolgsmeldung verkauft wurde, ist definitiv keine“, stellt Klaus Wicher klar. „Die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt seit Jahren an, gleichzeitig werden AGH-Plätze gestrichen. Die Menschen werden im Stich gelassen, wichtige Projekte im Quartier einfach wegrationalisiert.“ Nicola Timpe, Pressestelle SoVD Hamburg, hat darüber mit Bernd Schröder, Geschäftsführer LAG Arbeit, im Interview gesprochen.
SoVD: Warum ist die Nachricht des Jobcenters team.arbeit.hamburg aus Ihrer Sicht keine Erfolgsmeldung?
Schröder: Die Förderdauer zu verlängern ist grundsätzlich gut. Aber wir sprechen von rund 22.000 Menschen und ihren Familien, die zuhause sitzen und keine Chance kriegen, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Kinder langzeitarbeitsloser Menschen äußern auf die Frage, was sie denn beruflich machen wollen, oftmals: „Bürgergeld-Empfänger:in“. Das heißt, hier muss die Stadt dringend mehr tun, um den Teufelskreis über Generationen hinweg zu durchbrechen und Chancengleichheit herzustellen. 30 Projekte einzustellen, 60 Mitarbeitenden den Job zu streichen und Infrastruktur unwiederbringlich zu zerstören, war völlig kontraproduktiv. Insgesamt 920 verbliebene AGH-Plätze und rund 1.300 Plätze nach § 16i sind ein Tropfen auf den heißen Stein.
SoVD: Warum braucht es spezielle Beschäftigungsangebote, zu denen die AGH (nach § 16d SGB II) und die „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) gehören?
Schröder: Nach vielen Jahren der Arbeitslosigkeit haben Betroffene zum Teil große Ängste, wenn sie eine neue Stelle antreten. Vieles, was für andere Menschen normal ist, zum Beispiel pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen, fällt erst einmal schwer. Auf der anderen Seite gibt es große Vorbehalte bei Arbeitgeber:innen. Anleitung und psychosoziale Begleitung bedeuten zunächst einmal mehr Aufwand für das Unternehmen. Es sind zwei Seiten, die noch nicht zueinander passen. Wir sprechen bei AGH und § 16i vom letzten Mittel der Wahl bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Das oberste Ziel lautet deshalb: „Eröffnung von Teilhabechancen“. Betroffene können so ohne Überforderung erste Schritte wagen und sich weiter qualifizieren. Das macht viel mit dem Selbstwertgefühl.
Den Wert für die Quartiere sollte man auch nicht außer Acht lassen. Viele Projekte sind wichtige Anlaufstellen für Menschen in sozialen Brennpunkten. Dazu zählen Sozialkaufhäuser, Begegnungsstätten, Sozialcafés oder die Unterstützung und Begleitung älterer und hilfebedürftiger Menschen im Viertel.
SoVD: Was muss der Bund, was muss Hamburg tun?
Schröder: Diejenigen, die sich in Hamburg um langzeitarbeitslose Menschen kümmern – also Jobcenter, Sozialbehörde, Beschäftigungsträger – müssen sich zusammensetzen und gemeinsam überlegen, was unter den gegebenen Rahmenbedingungen möglich ist. Das Jobcenter muss die eigene Zielsetzung, 25 Prozent der Eingliederungsmittel für die soziale Beschäftigung einzusetzen, aktiv angehen. Dafür müsste es rund 500 Plätze gemäß § 16i aufstocken. Erreicht werden darüber aber nur Arbeitslose, die länger als 6 Jahre ohne Job sind, weil das Fördervoraussetzung ist. Wir sind dafür, diese Grenze sofort auf 4 Jahre zu reduzieren, um mehr Menschen früher zu erreichen. Die CDU hat vor Jahren einen ersten Anlauf in diese Richtung verhindert. Hamburg sollte sich auf Bundesebene für einen erneuten Anlauf einsetzen. Außerdem erhalten Bürgergeld-Empfänger:innen zum Beispiel zusätzlich Wohngeld. Dieses Geld spart die Stadt ein, wenn ein Mensch durch Teilhabe am Arbeitsmarkt Lohn erhält. Berlin und Bremen setzen dieses Geld für die Projekte ein – fördern damit also Arbeit. Warum Hamburg nicht? Hier sollten alle freien Fördermittel genutzt werden. Für ältere Menschen wäre es wichtig, die Förderung nicht auf 5 Jahre zu befristen, sondern das Rentenbezugsalter zu berücksichtigen. Wer mit 55 Jahren eine Maßnahme startet, hat mit 60 Jahren keine besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Info: AGH und „Teilhabe am Arbeitsmarkt“
Arbeitsgelegenheiten (AGH) gemäß § 16d SGB II und „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ gemäß § 16i SGB II sollen Beschäftigung am sozialen Arbeitsmarkt fördern. Besonders arbeitsmarktferne erwerbsfähige Menschen, die bisher nicht auf dem Arbeitsmarkt integriert werden konnten, erhalten darüber bessere Teilhabechancen sowie die Möglichkeit, sich neue Tagestrukturen, Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen. Arbeitgebern wird bei Beschäftigung gemäß § 16i SGB II das zu zahlende Arbeitsentgelt zu 100 Prozent in den ersten beiden Jahren erstattet. Der aktuelle Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) belegt: Beide Instrumente haben einen positiven Effekt auf soziale Teilhabe und Beschäftigungsfähigkeit. (https://iab.de/evaluation-des-teilhabechancengesetzes-abschlussbericht/)
Zum Artikel: https://www.sovd-hh.de/news-service/artikel/der-sovd-hakt-nach-agh-teilhabe-arbeitsmarkt-langzeitarbeitslos-hamburg