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Bericht: Langzeitarbeitslose ohne Perspektive? Zukunft des sozialen Arbeitsmarktes
Trotz vieler freier Stellen auf dem Arbeitsmarkt steigt die Zahl der Langzeitarbeitslosen und des Langzeitleistungsbezugs in Hamburg beständig an. Ohne einen gut aufgestellten sozialen Arbeitsmarkt haben die Betroffenen vergleichsweise wenig Chancen auf Rückkehr in eine Beschäftigung. Die allermeisten Arbeitslosen wollen arbeiten. Fachpolitisch ist das keine Überraschung. Knappe Haushaltsmittel haben aber die Möglichkeiten über eine soziale Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß fassen zu können stark begrenzt. Gerade weil in der öffentlichen Diskussion oft ein anderes Bild vermittelt wird, ist es wichtig sich fachpolitisch mit den realen Bedingungen und allen Möglichkeiten zu beschäftigen. Das betrifft damit auch privatwirtschaftliche Perspektiven.
„Wie kann und muss der soziale Arbeitsmarkt in Zukunft aufgestellt werden?“
Am Dienstag den 5. November 2025 lud das Hamburger Bündnis für öffentlich geförderte Beschäftigung - bestehend aus: Sozialverband Deutschland Landesverband Hamburg (SoVD), Caritas, Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA) sowie der Landesarbeitsgemeinschaft Arbeit Hamburg e.V. (LAG Arbeit) - zum politisch fachlichen Austausch und zur Podiumsdiskussion ein.
Klaus Wicher, 1. Landesvorsitzender SoVD Hamburg und Mitglied des Bundesverbandsrates des SoVD, startete mit einem kurzen Überblick über die aktuelle Situation. Klar ist: Hamburg braucht die soziale Beschäftigung und die Betriebe die dieses leisten. Die soziale Infrastruktur ist nicht nur für die Förderung von Arbeitslosen wichtig, sondern auch für die Quartiere und Menschen in Hamburg! Das ist die Verantwortung der Politik.
Die Rede, können Sie hier herunterladen: Begrüßungsrede K. Wicher, SoVD, Landesverband Hamburg e.V.
Die seit dem 01.01.20219 eingeführte Förderung über den §16i SGB II (Teilhabe am Arbeitsmarkt) wurde von Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) engmaschig evaluiert. Frau Dr. Claudia Globisch berichtete über die Erkenntnisse der Forschung und betonte dabei die besondere Bedeutung der Teilhabe am Arbeitsmarkt für die Menschen. Die positiven und stabilisierenden Wirkungen sind eindeutig zu messen. Dabei ist zu beachten, dass zwei Drittel der Förderung in sozialen und öffentlichen Betrieben stattfindet. Die Schaffung von sogenannten „leidensgerechten“ Arbeitsplätzen ist notwendig. Weiterhin betont sie, dass Arbeitsgelegenheiten sinnvolle Maßnahmen der Stabilisierung und Teilhabe sind und nicht nur am Integrationserfolg gemessen werden können.
Die Folien zum Vortrag, können Sie hier herunterladen: Evaluation IAB Dr. C. Globisch
Wie sinnstiftend und stärkend die geförderte Beschäftigung in sozialen Erwerbsbetrieben für den Einzelnen ist, darüber berichten in einem Video aus der Hamburger Praxis sieben Beschäftigte aus Betrieben der Landesarbeitsgemeinschaft Arbeit e.V. Die Beschäftigten verdeutlichen eindrucksvoll, wie wichtig ein individuell an die Fähigkeiten des Einzelnen angepasster Arbeitsplatz ist und wie glücklich sie sind, dass sie hier arbeiten können und ihren Teil für die Gesellschaft beitragen.
Das Video können Sie unterfolgenden Link ansehen: Praxisfilm öffentlich geförderte soziale Beschäftigung.
Bernd Schröder, von der LAG Arbeit Hamburg e.V., lieferte einen Überblick über die Entwicklung der geförderten Beschäftigung in Hamburg und ging auf die aktuelle Situation, insbesondere auch die Auswirkungen der geringen Haushaltsmittel für das Jobcenter in 2025 ein. Die Gefahr des Sparens zu Lasten der Langzeitarbeitslosen darf nicht Wirklichkeit werden. In allen sieben Bezirken Hamburgs fehlt es an Beschäftigungsprojekten bzw. Quartiersangeboten für bedürftige Menschen, insbesondere in den sozialen Brennpunkten der Stadt. Rund 30 Projekte mit rd. 600 Arbeitsgelegenheiten, mussten Ende Januar 2024 schließen bzw. ihre Angebote deutlich reduzieren. Treten die Haushaltskürzungen des Bundes zum SGB II in geplantem Umfang ein, muss Hamburg kompensierend einspringen – mit eigenen Haushaltsmitteln, ggf. auch im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe.
Die Folien zum Vortrag, können Sie hier herunterladen: Präsentation B. Schröder, LAG Arbeit e.V.
Anhand von Praxisbeispielen aus anderen Bundesländern wurden andere Modelle und Möglichkeiten der Weiterentwicklung für die Hamburger Arbeitsförderung vorgestellt:
Detlef Bischur agens Arbeitsmarktservice gGmbh, Berlin, berichtete über die Programme der Stadt Berlin für geförderte Beschäftigung. Mit unterschiedlichen Modellen der Förderung durch das Jobcenter und des Landes Berlin wird ein vielfältiges Spektrum der Arbeitsförderung gesichert. Besonders das Programm „Soziale Betriebe 2.0“ fördert Soziale Erwerbsbetriebe die einen gesellschaftlichen Mehrwert bieten. Die Kriterien der Zusätzlichkeit, des öffentliches Interesses und der Wettbewerbsneutralität werden aktuell über eine „Positivliste“ gesichert, doch die Kriterien sind aus heutiger Sicht überholt!
Die Folien zum Vortrag, können Sie hier herunter laden: Präsentation D. Bischur, agens Arbeitsmarktservice gGmbH und agens Sozialbetriebe gGmbH
Am Beispiel der Recycling-Börsen berichtete Claudio Vendramin Re-Use Deutschland e.V, Herford, über die Möglichkeiten der Refinanzierung von geförderter Arbeit über öffentliche Auftragsvergabe. Als wichtiger Partner für die Kommune und Stadt können soziale Betriebe notwendige Arbeiten übernehmen und gleichzeitig arbeitslose Menschen sinnstiftend und zukunftsorientiert fördern.
Die Folien zum Vortrag, können Sie hier herunter laden: Präsentation C.Vendramin reuse Deutschland
In der abschließenden Podiumsdiskussion kamen wir mit Hamburger Fachpolitiker:innen und dem Verantwortlichen des Hamburger Jobcenters über Lösungen und Perspektiven, die auch in Hamburg umgesetzt werden können und sollen, ins Gespräch.
Mit dabei waren die arbeitsmarktpolitischen Sprecher*innen der Hamburger Bürgerschaftsfraktionen: Filiz Demirel - DIE GRÜNEN, Olga Fritzsche - Die Linke, Andreas Grutzeck - CDU und Jan Koltze - SPD.
Ergänzt wurde die Politik auf der Verwaltungsebene durch Dirk Heyden, Geschäftsführer Jobcenter team.arbeit.hamburg.
Dirk Heyden bestätigte die Befürchtungen von Herrn Schröder, dass auf Grundlage des aktuellen Haushaltsplans für 2025 die Jobcenter auch in Hamburg Eingliederungsmittel zur Deckung der benötigten Verwaltungskosten nutzen müssen. Der Bestand der öffentlich geförderten Beschäftigung – also Arbeitsgelegenheiten (AGH) und §16i-Maßnahmen - soll aber im diesjährigen Umfang auch 2025 erhalten werden! Für Menschen, die lange arbeitslos waren, bieten diese Maßnahmen sehr gute Möglichkeiten der Förderung. Für die AGH wünscht sich Herr Heyden noch mehr Arbeitsmarktnähe, um diese für die Kundschaft attraktiver zu gestalten. Dazu bedarf es aus seiner Sicht politischer Entscheidungen auf Bundesebenen zur Abschaffung der einschränkenden Kriterien der Wettbewerbsneutralität und Zusätzlichkeit, die so nicht mehr nötig wären. Außerdem bedürfe es einer mehrjährigen Planungssicherheit bezüglich der SGB II-Haushaltsmittel.
Alle Vertreter*innen der Fraktionen waren sich einig: Hamburg braucht auch weiterhin einen sozialen Arbeitsmarkt. Kleiderkammer, Sozialkaufhäuser und –Cafès, Beratungs- und Begleitungsangebote u.v.m., sind wichtige infrastrukturelle Angebote in der Stadt. Diese dürfen nicht wegfallen: Nicht nur für die Beschäftigten, auch für die Kund:innen, sind Beschäftigungsprojekte mit ihren Angeboten für bedürftige Menschen in Hamburgs Quartieren von hoher Bedeutung. In Hamburg gibt es immer mehr Menschen, die von Armut betroffen sind. Diese Projekte wären wichtige Pfeiler der Sozialversorgung, des gesellschaftlichen Zusammenhalts und eine Chance auf Teilhabe und Integration. Den arbeitsmarktpolitischen Sprecher*innen ist bewusst, dass diese Projekte für ihre Aufgaben und Leistungen auch finanzielle Förderung durch die Stadt Hamburg benötigen. Dazu bestätigt Andreas Grutzeck, dass die Leistungen nicht durch ehrenamtliche Tätigkeit aufgefangen werden können und die Beschäftigung der Zielgruppe einer öffentlichen Förderung bedarf. Dazu bieten Beschäftigungsträger wertvolle Angebote. Er wird sich in seiner Fraktion aktiv einsetzen, damit der soziale Arbeitsmarkt erhalten bleibt. Die Koalitionspartner SPD und GRÜNE - hier vertreten durch Jan Koltze und Filiz Demirel - hatten sich zum Ziel gesetzt die Zahl der öffentlich geförderten Beschäftigung zu verdreifachen. Der Aufbau ist wichtig und Hamburg muss hierfür aus dem Haushalt Gelder zur Verfügung stellen. Jan Koltze sieht auch die Bezirke in der Pflicht entsprechende Projekte zu fördern, Andreas Grutzeck sieht hierfür den Bedarf die Bezirke mit entsprechenden Mitteln auszustatten. Olga Fritsche, Die Linke Hamburg, hält Arbeitsgelegenheiten für eine gute Fördermaßnahme der ersten Stabilisierung, die nicht als Zwangsmaßnahme für sogenannte Totalverweigerer missbraucht und hierüber in Misskredit gebracht werden darf. Sozialversicherungspflichte Arbeitsverhältnisse, wie Teilhabe am Arbeitsmarkt / §16i SGB II, sind aber trotzdem stärker auszubauen und zu fördern.
Alle Beteiligten der Podiumsdiskussion betonten die Wichtigkeit des sozialen Arbeitsmarktes und ihren zukünftigen Einsatz zu deren Erhalt.
Durch den Tag führte: Burkhard Plemper, Journalist